19.10.03
Sachsen Leipzig – FC St. Pauli
Alfred-Kunze-Sportpark
Ca. 7500 Zuschauer

autor:
ghostwriter

Rekorde

Oh ja, Rekorde sind etwas Wunderbares. Ob Weltrekorde, Europarekorde, Deutschlandrekorde, Hallenrekorde, Sportrekorde, Spaßrekorde oder Eß- und Trinkrekorde.
Ein jeder der einen inne hat der freut sich. Ob es der FC Bayern ist, der sich sogar den Titel Rekordmeister auf seine Fahnen schreibt, oder ganz aktuell, Timo Hildebrand, der kürzlich einen neuen Rekord für die längste Zeit ohne Gegentreffer in der Bundesliga am Stück, aufgestellt hat, und auch Michael Schumacher, Rekordweltmeister der Formel 1. Die haben alle etwas gemeinsam. Sie freuen sich! Ebenso wie manch einer, der am Abend wieder 10-12 Halbe Bier in sich reingesoffen, hinterher noch nach hause gefunden, und dann nicht einmal das Bett verkotzt hat. Auch der freut sich. Ja, ich weiß, ziemlich blöder Vergleich. Aber für manchen eben auch ein Rekord! Und nun dazu, was ich eigentlich mit dieser kurzen Einleitung ansprechen wollte.
Auch ich selber bin momentan auf Rekordjagd. Und zwar auf einen Rekord, den ich eigentlich gar nicht haben möchte. Eine Tatsache, die mich allein schon von den anderen Rekordhaltern unterscheidet. Ein Rekord, der mir quasi seit nunmehr 30 Monaten aufgezwungen wird. Und aus diesem Grund handelt es sich bei mir um einen „negativ Rekord“.
Bis zu diesem Spieltag, habe ich nämlich den FC St. Pauli, 900 Minuten nicht mehr live und in Farbe (also im Stadion) siegen sehen. Geschlagene 900 Minuten. Insider unter euch haben nun schon längst ausgerechnet, dass es sich hierbei um genau 10 Spiele handelt, die ich mit angesehen habe, ohne dass der FC St. Pauli als Sieger vom Platz ging. Man kann also nicht sagen, dass ich mich nicht angestrengt hätte. Schließlich war ich in dieser Zeit bei den Bayern, in Freiburg, beim Club, bei den 60´ern, in Fürth, in Burghausen, in Oberhausen und zwischendurch 3x am Millerntor gewesen. Soviel also zum Thema Modefan! Den letzten Sieg den ich miterlebt habe war das Aufstiegsspiel am 20 Mai 2001 in Nürnberg.
Diesem Zustand musste endlich ein Ende bereitet werden. Was kam da besser in Frage, als das Spiel meines FC´s bei den Sachsen in Leipzig. Alle nötigen Voraussetzungen waren gegeben: a) Das Auswärtsspiel mit der kürzesten Fahrtstrecke von Bayern aus. b) Übernachtungsmöglichkeit in Leipzig. c) Treffen mit alten Bekannten. d) Leipzig steht auf einem Abstiegsplatz und e) St. Pauli hat die letzten drei Spiele gewonnen. Günstiger geht’s einfach nicht mehr. Außerdem ist dieses Spiel gleichzeitig eine Premiere für mich. Mein erstes Spiel des FC St. Pauli in der Regionalliga Nord bei dem ich live dabei bin.
Eigentlich wollte ich ja nie zu einem Spiel in die ehemalige DDR fahren. All zu oft hat man von da nichts gutes gehört. Sicher, Deppen gibt es überall. Aber ich wollte es mir auf jeden Fall nur deswegen nicht etwa entgehen lassen. Der Abend vor dem Spiel in Leipzig war sehr gut. Wir waren bis ca. halb fünf Uhr morgens unterwegs. Einigermaßen ausgeschlafen ging es dann am nächsten Tag erst mal zum Frühstück und anschließend dann gleich zum Stadion. Nettes schnuckeliges Ding. Ich denke für Regionalligaverhältnisse relativ großer Ansturm. Auch die eben schon erwähnten Deppen mit ihren typischen Kurzhaarfrisuren und extrem dämlichen Sprüchen, aufgedruckt auf ihren T-Shirts, waren vor Ort. Nicht jedoch so gehäuft, wie ich sie eigentlich erwartet habe. Noch zu erwähnen wäre an dieser Stelle vielleicht, dass es hier das bisher erste und einzige Stadion war, für dessen Eintritt ich außer der Eintrittskarte noch einen Zuschlag von 1,50 Euro bezahlen musste. Der sogenannte „Sicherheitszuschlag“ für unsere Freunde und Helfer von der Polizei. Wobei die gar nicht so stark vertreten war, schon eher zahlreicher waren da die Sicherheitsleute und Ordner.
Zum Spiel: Vergesst die guten Voraussetzung! Was ich hier in der ersten Halbzeit geboten bekam, war wieder einmal schrecklich. Nichts gescheites vom FC, Sachsen Leipzig ebenso erbärmlich und doch einen Tick besser und gewiefter. Deswegen einfach abhaken! Die zweite Halbzeit begann noch grauenvoller, als die Erste aufgehört hat. Nämlich mit dem 1:0 für die Leipziger. Scheiße dachte ich mir. Langsam begann ich mich zu fragen, ob es wohl an mir liegt, dass mein Verein jedes Mal, wenn ich anwesend bin, nichts auf die Reihe kriegt. Ist es meine Ausstrahlung oder die Aura, die mich umgibt? Es ist mir ein Rätsel. St. Pauli war zwar weiter bemüht. Drängte die letzte Viertelstunde auf den Ausgleich. Mir war jedoch jetzt schon klar, dass die Zecken diesen Sportplatz nicht als Sieger verlassen werden, geschweige denn noch ein Unentschieden zustande bekommen. Halt, Stopp! Ich glaubte es nicht! St. Pauli machte kurz vor dem Schlusspfiff noch den Ausgleich. Na gut dachte ich, zumindest muss ich sie nicht verlieren sehen. Doch noch ehe ich richtig ausgejubelt hatte, bekam ich gleich den nächsten Faustschlag ins Gesicht. Quasi im direkten Gegenzug nach dem Anpfiff machen die Sachsen das 2:1. Unglaublich. Doch die scheinbar aus sozialistischen Zeiten stammende, aber immerhin Strom betriebene Ergebnisanzeige machte es mir deutlich. Grauenvoll, aber es war so. Das Spiel ist aus. Mein negativ Rekord erhöhte sich auf entsetzliche 990 Minuten und hätte ich die Nachspielzeit jeweils dazugerechnet wäre die Tausender-Marke mit Sicherheit schon geknackt.
Wie ich mich in diesem Moment fühlte, kann sich sicher jeder vorstellen, es sei denn er ist Bayern-Fan. Ich war schlicht und einfach niedergeschlagen. Warum tun sie mir das nur an? Warum immer ich? Soll ich nun auf die Mannschaft wütend sein oder auf mich selbst, nur weil ich mich wieder einmal auf das Wagnis „Fahrt zu einem Spiel des FC St. Pauli“ eingelassen habe? Wie lange wird das meine geschundene Seele noch ertragen? Fragen über Fragen. Doch die Antwort weiß ich mittlerweile selber schon: Ich werde auf jeden Fall die nächste Gelegenheit nutzen, die sich mir bietet, wieder einmal bei einem Spiel dabei zu sein, egal wo es mich dann hin verschlägt, ICH BIN WIEDER MIT DABEI !!! Das ist sicher!

(Anm. des Autors: Grade mal 5 Tage später gewann St. Pauli, durch vier Tore des überragenden Bounua, gegen die Amateure des 1. FC Köln mit 4:0!)

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