15.04.07
Fenerbahce – Manisaspor 0:0
Sükrü Saracoglu Stadyumu, Kadiköy, Istanbul
autor: alteheide

 

Ich glaube, ich habe es schon einmal erwähnt: Natürlich muss man, wenn man woanders hin fährt, dort auch zum Fußball gehen. Das ist letztlich eine Frage des Anstands. Man will ja Land und Leute kennenlernen - echte Leute, und nicht nur den netten Andenkenverkäufer im Museumsviertel, bei dem man nie weiß, ob er wirklich nett ist oder nur so tut.

Während andere also im Vorfeld in Führern blättern, um für sich die interessantesten Bauwerke, die schönsten Plätze, die angesagtesten Bars etc. herauszufiltern, steht für den authentisch Reisenden  folgende Frage im Mittelpunkt: Schaffe ich es ins Stadion? Wobei das in einer Metropole wie Istanbul mit den drei großen Erstligisten und jeder Menge unterklassiger Vereine nie ein Problem darstellen sollte, wenn man sich nicht ganz dumm anstellt, also z. B. in der Sommer- oder einer Länderspielpause anreist oder nur unter der Woche in der Stadt ist. Da Besiktas und Galatasaray an jenem Wochenende auswärts spielten, fiel unsere Wahl automatisch auf den Fenerbahce Spor Kulübü von 1907, der auf der asiatischen Seite der Stadt beheimatet ist; schon die Anreise mit der Fähre über den Bosporus war großartig. (Wie überhaupt Istanbul, dieser 15 Millionen-Moloch, eine ungeheure Faszination ausstrahlt. Wer die Gelegenheit hat, sollte ihm unbedingt einmal einen Besuch abstatten - mit dem Zug, ist besser fürs Klima.)

Das Spiel war für Sonntag 19 Uhr angesetzt. Karten zu 27,50 türkischen Lira (ca. 15 Euro) hatten wir uns vormittags in einem Laden in der Fußgängerzone geholt; aus Versehen für einen Block im Unterrang, was aber letztlich nicht die schlechteste Wahl war. Der Weg dorthin erwies sich als größtenteils unproblematisch. Nur auf der letzten Brücke vor dem Stadion bestand kurzzeitig Lebensgefahr, denn das „Gewässer“ unter uns sonderte Dämpfe ab, die jede Bahnhofstoilette geruchsmäßig wie eine ayurvedische Entspannungsoase daherkommen lassen. Wir überlebten, erhielten auf die Frage nach unserem Block neben der Wegbeschreibung noch ein beruhigendes „take it easy“ zugeraunt, und ein paar Minuten später hatten wir bereits das Eingangstor passiert. Übrigens interessierten unsere Digitalkameras niemanden, obwohl dem Vernehmen nach ein generelles Kameraverbot in türkischen Fußballstadien gelten soll. Dafür wurde ohneblinddarm des Feuerzeuges entledigt, das sie freundlicherweise für mich in ihrer Tasche deponiert hatte. Bei der zweiten Körperkontrolle unmittelbar am Eingang zum Stadion nahm mir ein Polizist dann meine Münzen ab und begutachtete sie, die Hand hin und her wiegend. Mir wuchs ein Riesen-Fragezeichen aus dem Kopf, und ehe ich mich versah, war das Geld auch schon in einer herzförmigen Spendenbox gelandet. Ein Ordner deutete mir mittels simulierter Flügelschläge und einem senkrecht nach oben gereckten Zeigefinger an, dass ich jetzt wohl in den Himmel kommen werde. Prima.

Das Sükrü Saracoglu, eine typische neumodische Arena mit 52.000 Sitzplätzen, war ungefähr zu drei Vierteln gefüllt. Außer ein paar Leute auf der Balustrade des Oberrangs sah ich allerdings kaum jemanden sitzen. Und es war unwahrscheinlich laut, denn das ganze Stadion beteiligte sich an den angestimmten Gesängen - aus welcher Ecke auch immer sie kamen. Dagegen mutet die Stimmung in Bundesligastadien an wie ein flauschiger Samstagnachmittag im Ohrensessel.

Fenerbahce gegen Manisaspor hieß Tabellenführer gegen den 14. und auch: Deniz Baris gegen Ugur Inceman! Zwei Ex-St. Paulianer im Duell – hatte ich gehofft. Baris jedoch spielte nicht; den Grund dafür konnte ich nicht eruieren. Wenigstens Inceman bekamen wir zu Gesicht, und wie! Dass Ugur ein Guter ist, weiß jeder, der sich auskennt. Sein herrliches Foul damals in Lübeck werde ich ewig in Erinnerung behalten. Inzwischen hat sich der Iceman in der ersten türkischen Liga etabliert, ist Kapitän bei Vestel Manisaspor und war am Sonntag tatsächlich der beste Spieler auf dem Platz. Souverän lenkte er das Spiel seiner Mannschaft aus dem zentralen defensiven Mittelfeld heraus, spielte sehr abgeklärt und doch wunderbar bissig. Überhaupt hatten die taktisch hervorragend eingestellten Westtürken das Spiel erstaunlich gut im Griff. Fenerbahce tat sich schwer und kam kaum zu zwingenden Torchancen. Manisaspor strahlte bei seinen Kontersituationen sogar mehr Gefahr aus als die Gastgeber.

Das gefiel den FB-Fans natürlich nicht im Geringsten. Erzeugten sie anfangs noch eine wahrhaft fanatische Atmosphäre (und ich meine FANATISCH in Großbuchstaben!), die mit nur geringen Abnützungserscheinungen bis zur Halbzeitpause aufrechterhalten wurde, so schlug die Stimmung nach einer Stunde zügig um: anfängliches Murren verwandelte sich recht bald in offenkundigen Unmut, und die Blau-Gelben Akteure mussten sich teilweise gellende Pfiffe anhören. Geduld gehört erwartungsgemäß nicht zu den großen Stärken des türkischen Fußballpublikums. Das bekam gegen Ende jeder Spieler zu spüren, der im Aufbauspiel länger als drei Sekunden am Ball blieb. Quer- und Rückpässe waren jetzt sowieso verboten. Nur gut, dass wir im „Familienblock“ standen, denn mit zunehmender Spieldauer wurden auch wir etwas nervös. Und außerdem wollten wir doch ebenfalls ein Tor sehen, für Fener natürlich, um mitzuerleben, wie die Leute um uns herum völlig den Verstand verlieren. Doch leider kam es dazu nicht. Richtig laut wurde es überhaupt nur noch zwei Mal: unmittelbar nach dem Schlusspfiff (Pfeifkonzert), und als die Gästespieler zum Auswärtsblock - ein mit Fangnetzen überspannter, in der äußersten Ecke des Ranges über uns gelegener doppelt und dreifach gesicherter Käfig - liefen, um sich bei ihren mitgereisten Fans zu bedanken (Pfeifkonzert und wüste Beschimpfungen). Doch ungefähr so schnell, wie sie vollständig in Rage geraten waren, beruhigten sich die Leute auch wieder.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns schon halb nach draußen gekämpft. Den Polizisten, der mir vorher meine Silberlinge abgenommen hatte, habe ich leider nicht mehr gesehen. Ich hätte ihm lächelnd zugewunken. Denn es war schön im Stadion von Fenerbahce Istanbul; und wenn es irgendjemanden, der das liest, irgendwann einmal an den Bosporus verschlagen sollte, so sei ihm Folgendes gesagt: Geh' zum Fußball, denn Du wirst dort mehr erleben als im Museumsviertel. Und trag' eine Handvoll Münzgeld bei Dir, denn mit etwas Glück wird Dir dort ganz nebenbei auch noch das ewige Leben zuteil.

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