01.09. - 09.09.07
Polen - September 2007
autor: philantrop

Im Frühjahr 2006 fuhr ich das erste Mal nach Polen. Damals nach Poznan mit dem Reisebus, um den KKS Lech Poznan spielen zu sehen. Dieser Trip hinterließ bei mir Spuren und seitdem war ich noch drei Mal in diesem Land, wo jeder Quadratmeter Geschichte bedeutet und beim Fußball eine Atmosphäre herrscht, die ich hierzulande all zu oft vermisse. Und damit meine ich nicht posende Hooligans, Wasserwerfer auf der Laufbahn und vermummte Polizisten, sondern die Menschen, die mit einem Schal auf der Tribüne sitzen, für dortige Verhältnisse oft sehr viel Geld für den Eintritt hinlegen und dann das tun, was ein Fan tun muss: für gute Stimmung sorgen.
Ich sah Spiele in der Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Liga, ich sah Länderspiele, ich sah Heimniederlagen, Heimsiege, Unentschieden, ich sah Derbys und Spiele ohne Auswärtsfans, aber eines sah ich nie: schlechte Stimmung oder das die eigene Mannschaft ausgepfiffen wurde. Nach dem Motto: Wenn mein Team schon nichts zu holen hat, ich gebe Vollgas, mein Team mag verlieren, aber wir sind lauter. Mir gefällt diese Einstellung.
Da es mich bei meinem ersten Spiel in Polen fast vom Hocker gehauen hat, weil 8.000 Fans in einem Stadion, dass zu dieser Zeit umgebaut wurde ein Spektakel veranstalteten, von dem ich dachte, dass es ein solches nur auf der Insel geben kann, hatte ich keine andere Wahl: der Kolejowy Klub Sportowy Lech Poznan ist der Verein in Polen, der meine Sympathie genießt. Den Rest besuche ich als Außenstehender. Und das war eine richtig gute Entscheidung…
Ende August war es dann wieder so weit, ich fuhr nach Polen und der Fußball bestimmte die Reise.

01.09.07
Wisla Krakow – Lech Poznan

Stadion Wisly Krakow
Ekstraklasa, 20.500 Zuschauer (ausverkauft)

Da mir viele Polen gesagt hatten, dass Krakow die schönste Stadt in Polen ist, verschlug es mich diesmal dort hin, noch dazu spielte Lech. Wisla ist in den letzten Jahren oft Meister geworden und dementsprechend unbeliebt, im Süden des Landes mag man sie aber scheinbar. Angefressen von einer Auswärtsniederlage des FC Bayern Hof am Abend zuvor, einer 800km Autofahrt bei meist strömenden Regen stundenlangem Warten auf die Zimmerübergabe kam ich übermüdet am Stadion an. Keine Chance in den Gästeblock zu kommen, Gästeblöcke sind in Polen abgeschirmt wie Hotels beim G8-Gipfel. Inklusive Zaun. Der Versuch, an eine Karte zu kommen scheiterte an geschlossenen Kartenhäuschen und sturen Ordnern, die das Argument einer langen Anreise nicht als Legitimation für einen Stadionbesuch gelten lassen wollten. Glücklicherweise wurde ich Zeuge einer Verkaufsverhandlung über ein Schwarzmarktticket, die Verkäuferin beharrte auf 50 Zloty, die umgerechnet 3,75€ Aufschlag empfand der potentielle Käufer als Frechheit und ich schlug zu. Und ich hatte nicht mal ein schlechtes gewissen dabei, denn erstens musste ich bei einem Erstligaspiel auch mal 60 Zloty Normalpreis zahlen und zweitens mag ich Wisla nicht.
Die Hintertortribünen des Wislastadions sind bereits modernisiert, verfügen über ein Dach und wenn das ganze fertig ist sieht es vielleicht aus wie in Bochum, zwar eine Verschlechterung gegenüber dem alten Stadion, welches ich unter Denkmalschutz gestellt hätte, aber doch nicht so kommerziell wie Neubauten in anderen Ländern. Meine Tribüne war baufällig, die Aufgänge bestanden aus Stahlrohrtreppen und sie war so steil, dass ich mit meiner Höhenangst schon Bedenken hatte, zumal ich ganz am Rand stand. Aber als sich die Heimmannschaft dann zwischen der 20. und 40. Minute in einen Rausch spielte, vier Tore erzielte, die Menschen neben mir komplett ausrasteten und das Bauwerk nur noch wackelte hatte ich keine Bedenken mehr. Die Einheimischen werden schon wissen, was sie tun.
Ich persönlich ärgerte mich natürlich, da ich lieber im Gästeblock gestanden wäre, der bis zum letzten Platz gefüllt war und neunzig Minuten mächtig Gas gab. Lech ist mit Cracovia befreundet und schiebt mächtig Hass auf Wisla, umgekehrt ist das natürlich das Gleiche. Endstand 4:2 für Krakow, aber dennoch war schon nach diesem Spiel klar, dass sich die Reise gelohnt hatte, denn ich bin ja fair und muss sagen, dass die Heimfans einen Support hinlegten, wie er bei uns unvorstellbar ist. Da wechselten sich vier Tribünen mit Gesängen ab, es gab Anfeuerungen, die von allen mitgebrüllt wurden und stumm blieb keiner.
Die Kielbasa kostete 2,50€, war aber richtig schwarz und richtig fett und richtig gut und es gab eine Gurke dazu.
Mittlerweile (sechs Wochen später) hat Wisla die Tabellenführung übernommen, da Lech Poznan Legia Warschau geschlagen hat. Vor 30.000 Zuschauern, das wäre eine Reise wert gewesen…

03.09.07
Piast Gliwice – GKS Katowice
Stadion „Piast“ Gliwice
II. Liga Polen, 3.500 Zuschauer

Irgendwann in der Nacht nach dem Spiel muss es zu regnen begonnen haben. Ich lag im Bett, hörte polnischen Martinshörnern zu, schlief dann ein und dann muss er gekommen sein, mein Begleiter für eine Woche. Strömender Regen. Ich hatte eine Wohnung in Kazimierz gemietet, bis sie dort „Schindlers Liste“ gedreht haben wohl ein ziemlich verrufenes Viertel. Jetzt gibt es dort schicke Kneipen, aber ich war ja eh wegen Fußball hier. Und der verfolgt einen in Krakau schon auf Schritt und Tritt, wenn man ein Auge dafür hat, da jede zweite Hauswand „markiert“ ist. Entweder Wisla oder Cracovia. Man muss sich schon entscheiden dort.
Ich fuhr nach Gliwice, ein weiterer geschichtsträchtiger Ort. Der Sender ist noch in Betrieb und mit 105 Metern Höhe die höchste Holzkonstruktion in Europa. Das Museum macht um 12:00 Uhr zu, warum auch immer.
Die Dame am Kassenhäuschen sagte mir gleich, dass das Stadion über kein Dach verfügt, als ob ein Groundhopper wieder heimfahren würde nur weil es regnet. 18 Zloty. Eine Stadionkneipe gab es nicht, die Sitzschalen waren voll Wasser, aber Jan Furtok, Präsident des GKS Katowice stand neben dem polnischen Christoph Brückner und gab unterm Regenschirm schlaue Kommentare zum Montagabendzweitligahit ab. Wann sieht man einen so einen Prominenten schon mal aus der Nähe?
Richtig Fans scheinen die nicht zu haben, dachte ich. Aber mit dem Anpfiff kam der Mob der Heimmannschaft angejoggt. Wozu sonst trägt man Jogginghosen beim Fußball? Im Auswärtsblock tat sich nichts, fünf Minuten nach Spielbeginn fuhr aber ein Wasserwerfer über die Laufbahn. Hat es bei dem Wetter auch unbedingt gebraucht. Bis zur 40. Minute dauerte es, bis alle 150 Gästefans in Dreiergruppen ihren Käfig durften, ich habe keinen Einblick in die Hooliganszene, glaube aber, dass ich mir als Fussballfan in Polen ziemlich verarscht durch die Polizei vorkommen würde. Denn passiert ist am Ende nichts. Außer dass die Haupttribüne in Gliwice, auf der die Herrschaften älteren Semesters Platz nehmen, Wechselgesänge mit den Ultras auf der Gegengeraden anstimmt. Man hält dort mehr zusammen, es geht um den Verein. Deshalb haben sie es sich an diesem Tag auch verdient, dass Piast in der 83. Minute das 1:0 erzielte und in der 90. sogar nachlegte.
Aber die Wurst war nicht so gut wie bei Wisla, da müssen sie was machen!

05.09.07
Garbania Krakow – Beskidy Andrychów
Stadion „Garbania“, Krakow
IV. Liga Polen, Grupa Malopolska, 100 Zuschauer

Wirklich schade, dass Cracovia in dieser Woche nicht spielte. Natürlich mag ich Cracovia, es ist der älteste Fußballverein auf dem heutigen polnischen Staatsgebiet. 1906 gegründet. Nicht ein Spiel im „Jana Pawla II“, ein Jammer, bald wird auch der Ground umgebaut. Sie haben es nach Papst Johannes Paul II. benannt, kurz nachdem er gestorben war. Er war bekennender Cracovia Anhänger. Darauf kann man so richtig stolz sein. So musste ich mich mit dem Shop der Ultras begnügen, aber anders als in Poznan hatten die Jungs dort keine Lust auf irgendeine Form von Kommunikation, naja, vielleicht schon, aber darauf hab ich keine Lust. Wunderschöne Dinge kaufte ich trotzdem und wo das Vereinsgelände ist haben sie sich auch entlocken lassen. Dort fuhr ich auch hin, das sehr marode Vereinsgelände von Bayern Hof ist moderner aber es fehlte natürlich nicht der obligatorische Pole, der mir sagte: „Everything will be built new soon.“ Das hört man dort oft und wenn man dann sagt, dass neu nicht immer gleich besser ist versteht das keiner.
Bei Garbania wird sicher nichts neu gebaut in der nächsten Zeit. Der Verein erinnerte mich sofort an den FC St. Pauli, sie spielen in Braun-Weiß und das Stadion hat nur drei Tribünen. Ich parkte den Wagen und man schickte mich durch den Schlamm über ein verlassenes Fabrikgelände. Drei Gestalten fragte ich ob ich hier richtig zum Stadion bin, die fragten sich wohl ob ich noch richtig bin aber dann wurden in einer verfallenen Garage doch Eintrittskarten für 7,50 Zloty verkauft. Die 20 überdachten Plätze waren besetzt, so dass ich mich hinter dem Gästetor platzierte. Weit und breit kein Mensch, nur der Hüter der Anzeigetafel hatte zu tun. Dieser stand neben seinem Türmchen, rauchte filterlose Zigaretten und räumte jedes Mal, wenn er den Spielstand aktualisiert hatte, seine Leiter wieder ordentlich auf. Hätte ja jemand damit durchbrennen können. Die Gäste sahen kein Land und wurden mit 6:0 vom Platz gefegt.
Kielbasa gab es keine, bei dem Wetter hätte auch niemand ein Feuer angebracht.

08.09.07
Hutnik Krakow – Avia Swidnik
Stadion „Suche Stawy“ Krakow
III. Liga Polen, Grupa 3, 300 Zuschauer

In meinem Reiseführer habe ich gelesen, dass die Lieblingsbeschäftigung der Krakauer ist, an der Weichsel spazieren zu gehen. Mittlerweile führte diese Hochwasser, aber ich lief dort dennoch immer lang. Da war ich dann wenigstens allein, konnte aber schon erahnen, dass es dort bei Sonnenschein sehr idyllisch sein kann. Außerdem konnte ich immer die Flutlichtmasten des Cracovia Stadions sehen, was meine Stimmung aufhellte. Am Samstag geschah dann das unfassbare, es schien die Sonne. Die Stadt war wie ausgewechselt, die Straßenmusikanten standen an jeder Ecke, Menschen ließen Karikaturen von sich zeichnen, Engländer benahmen sich bereits um 11:00 Uhr in der Früh schlecht in den Straßencafes und ich freute mich, wenigstens noch einen Tag dieses Flair zu genießen. Schon morgens stieg ich auf den Wawel, weil man vom Kirchturm aus am besten erkennen kann, dass beide Stadien in Krakow nur wenige hundert Meter voneinander entfernt liegen. Im Internetcafe wollte ich nur kurz nach einem Spiel für Sonntag schauen (an diesem Samstag war Länderspiel) und dann kam der Schock: Das Spiel von Hutnik wurde vorgezogen, Anstoß 16:00 Uhr.
Ich verließ die Altstadt, um nach Nowa Huta zu fahren. Wie gesagt ist Krakau wunderschön, aber im Westen beheimatet sie das größte Stahlwerk des Landes und drum herum haben sie in Zeiten des Sozialismus natürlich ein Stadtviertel geplant, welches ich eigentlich gar nicht sehen wollte, da ich Polen schon genügend solcher Städte gesehen habe, aber was bringt die schönste Altstadt Europas bei schönstem Wetter, wenn der Tabellenletzte der Dritten Liga zeitgleich ein Heimspiel austrägt?
Nowa Huta war so, wie ich es mir vorgestellt habe, also hielt ich gar nicht an sondern fuhr direkt zum Stadion. Die Frau am Kassenschalter sprach perfekt deutsch: „Zehn“. Ohne dass ich was gesagt hätte, wahrscheinlich hat sie mich im dicken Corsa vorfahren sehen…
Im Stadion viel Polizei, obwohl keine Gäste da waren, aber wahrscheinlich hat die „Hutnik Fighting Crew“ in der Vergangenheit schon mächtig Wirbel gemacht. Es sollen 300 Zuschauer gewesen sein, ich denke eher die Hälfte und von denen waren zwei Drittel so betrunken, dass nichts mehr ging. Ständig wurden Plastiktüten über den Zaun auf das Stadiongelände geworfen, gefüllt wahrscheinlich mit Bierdosen. So hatten die Ordnungshüter doch zu tun. Ich setzte mich in einen leeren Block, da mir das Publikum das erste Mal in Polen doch sehr suspekt vorkam, aber ich wäre nicht ich, hätte sich nicht gleich ein Mensch Typ Zuhälter mit seiner weiblichen Begleitung neben mich gesetzt. Anfangs erzählte ich ihm, dass ich Engländer bin, und so hatte er entweder einen Disput mit seiner Freundin oder zeigte auf das Spielfeld, um mir dann ein „englisch“ entgegenzuschleudern und mit dem Daumen nach unten zu zeigen. Nein, dass war nicht mein Spiel, und so zog ich zur Halbzeit von Dannen. Das Würstl war aber hervorragend, es war so kalorienhaltig, dass ich bis nach dem Länderspiel am Abend nichts mehr essen konnte. Und ich bin ein guter Esser. Das Spiel endete 0:2, aber die Tore habe ich nicht mehr gesehen.
Abends traf dann Jacek Krzynowek, der für Polen derzeit nur gute Spiele abliefert, kurz vor Spielende zum 2:2 Ausgleich in Portugal, womit Polen wohl zur EM fahren dürfte. Das haben sich die Leute dort echt verdient.

09.09.07
Slask Wroclaw – Tur Turek
Stadion „Slaska“, Wroclaw
II. Liga Polen, 3.500 Zuschauer

Dann war schon wieder Sonntag und ich musste wieder ausreisen. Wenigstens kam der Regen zurück, den ich schon so vermisst hatte. Auf dem Weg von Krakow nach Franken liegt auf halber Strecke Wroclaw, dort wird Zweitligafußball geboten, also nichts wie hin. In der Stadt gab es eine äußerst interessante Photoausstellung über Polen in den 80er Jahren zu sehen, sehr beeindruckende Bilder. Diese kostete mich eineinhalb Stunden Zeit und ich bekam wenig von der Stadt mit, da Wroclaw aber echt nicht weit ist, werde ich es sicher demnächst länger bereisen. Weil es sich wohl lohnt.
Diesmal wurde ich gefragt, ob ich einen überdachten Platz haben will. Ich bin fast erschrocken, sagte aber ja zum 20 Zloty Ticket. Das Spiel endete 4:0 für die Heimmannschaft, dementsprechend war die Stimmung und der Gästeblock, kollektiv angereist mit gelben Müllsäcken gegen den Dauerregen, hatte auch seinen Spaß. Aber das ist in Polen ja normal.
Und zur Kielbasa gab’s zum Abschied wieder eine Gurke, ich hätte zwei Stück essen sollen!

Leute, fahrt nach Polen!


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