autor: maedchen 06.07.04
Monolog
der Fotografie
oder
die Einseitigkeit der aktuellen Ausstellung Fotografie und Malerei
im 19. Jahrhundert in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung
Man tritt ein und wähnt sich in einer Dunkelkammer. Doch nachdem man
den informativen Einführungstext im allerersten Ausstellungsraum überflogen
hat, versteht man die Dunkelheit des bevorstehenden Rundgangs durch das
19. Jahrhundert: Die Räume mussten auf 50 Lux abgedunkelt werden, wegen
der hohen Empfindlichkeit der Exponate. Noch ist man skeptisch, aber bereits
im ersten Raum der "Kalotypien und Fotogenischen Zeichnungen"
beginnt man, die intime Atmosphäre zu genießen. Mit Hilfe der
Spots, die auf die einzelnen Exponate gerichtet sind, versinkt man in die
Betrachtung der Bilder. Wir sehen erste Negativabzüge von Talbot aus
dem Jahre 1848 und auch Bilder mit Umrissen von Gegenständen, die vor
der Belichtung auf lichtempfindliches Material gelegt wurden, sog. Fotogenische
Zeichnungen. So erhält man einen ersten Eindruck von der Entwicklung
der Technik. Einzelne fotografische Verfahren wurden im Vorraum bereits
textlich vorgestellt. Doch leider war man da schon viel zu neugierig auf
die Ausstellung, um sich zur Vorbereitung noch diese Texte zu Gemüte
zu führen. Das wird uns später noch ärgern. Aber vielleicht
ist das nicht unsere Schuld, vielleicht hätte man diese Informationen
besser an anderer Stelle platziert?
Nun
gut, wir begeben uns in den nächsten Raum mit den Genre-
und den Physiognomischen Portraits. Durch Aufnahmen wie Todesangst
(Paul Regnard, 1877) oder Elektrophysikalischer Versuch (Guillaume
Duchenne de Boulogne, 1876) verschafft man sich hier einen Überblick
über den Einsatz der Fotografie in Medizin, Psychatrie, Anthropometrie
und Kriminalistik. Dann geht es weiter zu den Körperbildern und
Akten. Die Aktfotografie als künstlerische Vorlagenstudie, z.B.
Ottmar Anschütz Speerwerfer oder die emporsteigende
Frau von Edward Muybridge zeigen eine Möglichkeit der Nutzung
der Fotografie. Bei der Gegenüberstellung einer fotografierten Gipshand
und Adolph Menzels Gemälde Rechte Hand des Künstlers mit
Farbnapf (1864) stößt man zum ersten Mal auf das, was man
eigentlich erwartet hatte: den im Faltblatt angekündigten Dialog
zwischen Fotografie und Malerei. Der fällt in der gesamten Ausstellung
eindeutig zu schwach aus. Ein Dialog, in dem der eine Gesprächspartner
den anderen nicht zu Wort kommen lässt trifft es wohl besser.
Mit ca. 260 ausgestellten Fotos und nur 40 Gemälden und Zeichnungen
ist das auch schwer möglich.
Man erhält zwar einen umfassenden Überblick über die Entstehung
und Entwicklung der Fotografie und die Themen der Zeit, z.B. durch Industriebilder
oder Fotos über Orientalismus. Doch werden Themen wie die
Reaktion der Impressionisten auf die technische Entwicklung der Industrialisierung
oder die Wahrnehmungsästhetik des Neuen Sehens in den begleitenden
Texten zu den Teilbereichen nur kurz angesprochen und durch die Exponate
keineswegs erklärt.
Ansätze
gäbe es genügend, die Präraffaelitische Fotografie
beispielsweise beinhal-tet sowohl die Fotomontage als technische Spielerei
mit der Illusion, als auch historischer Ikonographie, wie z.B. bei Oscar
Rejlanders Kopf von Johannes dem Täufer (1856).
Ein weiterer Bereich, bei dem die beiden Sujets der Fotografie und Malerei
ineinander greifen, ist die Kunstreproduktion: Adolphe Brauns
Album mit Reproduktionen der Zeichnungen von Leonardo da Vinci von 1880
demonstriert die Publikationsfähigkeit als neue Errungenschaft für
die Kunst. Auch Menzels Bleistiftskizzen auf dem Rand einer Fotografie verdeutlichen
die Verschmelzung beider Techniken.
Genauer wird aber leider nicht darauf eingegangen und im Raum der Tier-studien wundern wir uns ein wenig über die zusammenhangslosen Zeichnungen von Hundeportraits. Ohne uns weiter mit den fehlenden Erklärungen zu beschäftigen staunen wir über die Fotoserie eines galoppierenden Pferdes und eines laufenden Huhnes, bei denen zum ersten Mal die exakte Beinstellung der Tiere ermittelt werden konnte. Weitere empirisch-wissenschaftliche Errungenschaften gewinnen unser Interesse im Bereich Wolken und Wellen mit Meeresbildern und Fotografien von Wolken und Blitzen.
Sowohl in der Abteilung Natur und Landschaft als auch bei Alpen und Gletscher beeindrucken die Schärfe und Präzision der Aufnahmen und lassen uns den Stil der Neuen Sachlichkeit verstehen. In diesem Ausstellungsraum befinden sich auch drei Kästen, die das Prinzip des dreidimensionalen Bildes demonstrieren, die Stereophotographie. Die Eigenschaften Schnelligkeit, Präzision und Sachlichkeit der Fotografie wird noch einmal bei Architektur und Stadtveduten veranschaulicht. Im letzten Raum begegnet man den Stilleben und einem weiteren kläglichen Versuch, die Fotografie mit der Malerei in Kommunikation treten zu lassen.
Bereits
außerhalb der eigentlichen Ausstellungsräume zieht die Fotografie
im Visier der Karikatur noch einmal unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Man sieht z.B. Zeichnungen von Honoré Daumier, der den Pariser Fotografen
Nadar karikierte. Darstellungen von wohlhabenden Fotografen und am Hungertuch
nagenden Portraitmalern greifen die Thematik der Ausstellung erst jetzt
auf, wie man es sich die ganze Zeit gewünscht hatte. Schade.
Eigentlich wäre das eine gelungene Ausstellung über die Entwicklung
der Fotografie im 19. Jahrhundert, mit schön gewählten Teilbereichen,
die die unter-schiedlichen Aspekte der Zeit, der Industrialisierung und
des Menschen berücksichtigen.
Die Präsentation ist im Umfang angmessen und übersichtlich, nur manchmal sind die kleinen Infotäfelchen durch die ansonsten angenehme Dunkelheit schlecht zu lesen. Auch der Katalog (35 Euro), der alle Exponate enthält, ist übersichtlich aufgebaut und in die gleichen Kapitel wie die Ausstellung untergliedert.
Ja,
es wäre eine gelungene Ausstellung, wenn ihr Titel uns nicht etwas
anderes versprechen würde. Die wenigen gemalten Exponate berechtigen
nicht zu einer Gleichstellung im Titel Fotografie und Malerei.
Sie dienen lediglich einer Fotoausstellung über das 19. Jahrhundert
als Ergänzung, berechtigen aber keineswegs,
dies als Dialog zu bezeichnen. Ansatzweise gibt es Versuche,
die sowohl positiven als auch negativen Berührungspunkte der Fotografie
mit der Malerei darzustellen, aber diese Versuche befriedigen den Besucher
keineswegs.
(Bis 18. Juli in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, zur
Homepage)