autor: libero 19.05.05

Die Entwürdigung oder Bahnfahren leicht gemacht

Es muss mit dem zunehmenden Alter zu tun haben. Binnen Wochenfrist finde ich mich zum zweiten Mal vor den noch verschlossenen Türen eines Discounters wieder.

Bei der Vorstellung, mit spottbilligen Karten - hin und zurück für 49,90 € - Fahrgast eines ICEs zu sein, welcher mich zudem noch zuverlässig an den jeweiligen Spielort des FC St. Pauli bringen würde, um dort dem erhofften Beginn einer beispiellosen Siegesserie - schließlich ist Meggle mal wieder da - wochenlang beizuwohnen, schmeisst man gerne jene Grundsätze, die von Globalisierungsgewinnlern zwar belächelt werden mögen, für mich und mein Selbstbild hingegen konstitutiv sind, so agil über Bord, wie die Deutsche Bank ihre Mitarbeiter raus.

Hätte ich bloß mal meine Grundsätze dort behalten, wo sie eigentlich hingehören. Habe ich aber nicht und so wurde ich nicht nur Zeuge, nein, ich partizipierte als Teil eines breiten Publikums für ein Volksstück, dass zur gleichen Zeit auch in 2600 anderen Filialen des Discounters uraufgeführt wurde. Wenn man berücksichtigt, dass ausschließlich Laienschauspieler involviert waren, kann man durchaus von einer gelungenen Premiere sprechen.

In dem relativ kurzen Zeitraum von zwei Wochen, die vergangen sind, seit die Medien die Absicht der Deutschen Bahn neue Vertriebswege und ergo neue Kunden zu gewinnen kund taten, hat sich das so genannte Autoland anscheinend in eine Republik der Eisenbahnfreunde verwandelt. Mit der Folge, dass jeder das, wofür sonst ausschließlich das Auto oder das Flugzeug in Frage käme, nämlich das Verreisen, nun mit Mehdorns Untergebenen bewerkstelligen will.

Eine beträchtliche Anzahl der neu gewonnenen Eisenbahnfreunde war schon vor mir da. In der mittlerweile gut eingeübten "Geiz ist geil"-Manier standen sie vor den noch verschlossenen Toren, wie damals die Raubtiere im alten Rom, bevor die Meute losgelassen wurde. Die einen schon keifend, die anderen ihre Reise planend, wieder andere bereits hektisch telefonierend und ich verkatert in angemessener Entfernung, sprich: noch ohne Körperkontakt. Dieser Hinweis wäre obsolet, wenn sich dieses Volk die zivilisatorische Errungenschaft der Reihenbildung auch nur rudimentär zu eigen machen würde.

Pünktlich um 8 Uhr war es dann soweit: der billige Jakob öffnete seine Pforten und zeitgleich verlor die Käufermasse ihren Verstand. Hinfällig geworden sind die flapsigen Sprüche bzgl. des Drückens, denn an aktives Tun war nicht im Ansatz zu denken. Man wurde gedrückt! Dieses Faktum, einhergehend mit noch vorhandenem Gutmenschentum und Restalkohol, ist als ursächlich dafür zu sehen, dass die Karten nicht an mich verkauft wurden. Während die Masse mich in den vorgeschriebenen Eingang schob, sprangen die "Geiz ist geil"-Jünger über Absperrungen, Kassen und umherstehende Verkaufsgegenstände. Pech gehabt, und so fand ich mich, ca. 17,5 m von der selig machenden Kasse entfernt, wieder. Zusammen mit Studenten und zwei weiblichen Mitgliedern der hiesigen Faschingsgesellschaft - anders kann ich mir die beträchtliche Anzahl der unnötigen Kalauer zu früher Morgenstunde nicht erklären - harrte ich der Dinge. Als die Karten ausverkauft waren, standen wir immer noch am Regal für italienische Teigwaren, allerdings nicht mehr bei den Spaghetti, sondern bereits bei den Rigatoni, jedoch immer noch 15 m von der Kasse entfernt.

Festzuhalten bleibt nach diesem dürftig inszenierten Schwank, dass das schnöde materielle Bedürfnisse niemals wieder die Oberhand über das politische Bewusstsein gewinnen dürfen. Wer die Spinde seiner Mitarbeiter durchsucht, die Arbeit von Betriebsräten behindert und in Verbindung mit der Deutschen Bahn unlautere Werbung betreibt, bekommt von mir kein Geld. Das nächste Mal setze ich mich sofort in den Park um ein Bier zu trinken, selbst dann, wenn der Tag noch nicht sehr alt geworden sein sollte. Ich verstehe das dann als ein offensives Zeichen pro Müßiggang und gegen die entwürdigende Geizgesellschaft.

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