autor: alteheide 21.11.05

„Real Life Is Good Enough“:
John Watts live in der Substanz am 5. November 2005

„I play this next song because I am John Watts, and I always do what I want.”

Dieser eine Satz, Pointe einer launigen Ansage ganz zu Anfang seines hochklassigen Konzertes in der Substanz, spiegelt exakt die Attitüde wider, der Watts dem überwiegenden Teil seiner Karriere treu geblieben ist, und die ihm neben echter künstlerischer Glaubwürdigkeit noch etwas sehr viel wichtigeres beschert hat: ein nie gelangweiltes Publikum.

John Malcolm Watts, 51, Engländer, hat sich stets wenig um Konventionen geschert. Als Fischer-Z 1982 nach Veröffentlichung ihres dritten Albums „Red Skies Over Paradise“ am kommerziellen Höhepunkt angelangt waren, löste er die Band kurzerhand auf. Er wollte neue Wege abseits der inzwischen zur musikalischen Erfolgsformel avancierten Verbindung von New Wave und Reggae gehen. Es folgten: zwei Alben unter eigenem Namen (mit dem offensichtlich von der Plattenfirma durchgesetzten Zusatz „Of Fischer-Z Fame“ unter selbigem), die songstrukturell eher die Rockrichtung einschlugen, sowie eine Platte als The Cry, ehe Watts 1987 die Marke Fischer-Z reanimierte und auf den nächsten beiden Alben keyboardlastige Popmusik zum Besten gab. Das hervorragende „Destination Paradise“ (1992) hingegen wurde fast durchgehend dominiert von Watts’ Akustikgitarre - die allerdings schon auf der nächsten, musikalisch höchst diversen Platte kaum noch zu hören war. Der darauf folgende Longplayer „Stream“ war dann wiederum ein recht homogenes Werk, allerdings jetzt mit stärkerer Tendenz zur Elektrogitarre. Danach war Fischer-Z zum zweiten Mal Geschichte, und John Watts ging auf Solotour (die übrigens auch damals in der Substanz Halt machte). 1997 veröffentlichte er als J. M. Watts eine rauhe, ungebügelte Post-Grunge-Scheibe, zwei Jahre später unter dem Namen WATTS. ein extrem tanzbares Album mit dem selbsterklärenden Titel „BigBeatPoetry“.

Im neuen Jahrtausend erlebte Fischer-Z eine erneute Renaissance, für „Ether“, eine Platte, die Watts in einigen Städten Europas und in New York aufnahm, indem er, nur mit einem Laptop und einfachstem Soundequipment bepackt, Musiker traf, ihnen Rohversionen seiner Songs vorspielte und sie dazu bewegte, den ihrigen Teil beizutragen. Dementsprechend bunt kommt „Ether“ dann auch daher, mit Rappern, groovenden Bässen und Gitarren und jeder Menge Bläser, John Watts’ Soul-Album, sozusagen. Einerseits. Andererseits Watts/Fischer-Z, wie man ihn/sie kennt und schätzt, mit schönen Balladen, kleinen Geschichten und einer großen Hymne, „Promenaders“. Die filmische Dokumentation des Projekts wurde später als „Ether Music and Film“ veröffentlicht.

Nun also wieder John Watts. „Real Life Is Good Enough“ heißt das neue Doppelalbum, das eine „laute“ und eine „leise“ CD enthält, und dem neben dem Textblatt auch ein Büchlein mit Gedichten beiliegt, die Watts um die Zeit der Entstehung der neuen Songs verfasst hat. Wie sehr er „Real Life...“ schätzt, lässt sich gut an der Setlist in der Substanz ablesen, die zur Hälfte aus neuem Material bestand. Fischer-Z-Hits gab es kaum zu hören, kein „Berlin“, „Room Service“, „So Long“, „Pretty Paracetamol“ etc., und die Qualität des Konzertes bestand darin, dass sie niemand ernsthaft vermissen musste. Zu gut waren die neuen Songs (insbesondere der Titelsong, und „Love Is A Gracious Thing“, „She Walks On Wheels“, „The Spirit And The Chase“, „The Day Johnny Cash Passed Away“, „Birthday“); zu gut der gewählte Querschnitt durch fast alle Phasen des Watts’schen Oeuvre („Wax Dolls“, „The Worker“, „Angel Of Gardinia”, “One Voice”, „Destination Paradise“, Say When“, „I’m A Reptile“, und – zum Abschluß (!) - “Sticky Business”); zu gut war die „Band“, die einzig aus dem exzellenten Drummer Sam Walker bestand; zu gut ist John Watts als Performer – diese Stimme! – und Entertainer. Selbst die Pausen zwischen den Liedern waren deliziös, wenn Watts die Welt schildert, so wie er sie sieht: „Wir haben auf der Fahrt nach München diese ganzen Arenen gesehen, die ihr zu bauen versucht für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr. Na ja... Scheint ihr aber immer noch besser hinzukriegen, als eine funktionierende Regierung auf die Beine zu stellen”. Sprach’s und sang ein Lied über seine Liebe zu Merkel und deren Ähnlichkeit mit dem Würger von Boston („Angela, oh Angela / looks like the Boston strang-a-ler“) – großes Tennis, und nur eines von vielen Beispielen für Watts’ liebenswerten Humor.

Ein Abend zum Genießen also - mit einem charismatischen, unverbogenen und hellwachen Künstler, den jeder gern haben muss, der noch ein Herz an jener Stelle besitzt, wo die meisten anderen schon lange eine Rechenmaschine installiert haben.

Lieber John, bis zum nächsten Mal!


von: www.johnwatts.co.uk

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