autor: alteheide 03.11.03

Die Heimat der Löwen

Es gibt eine Sache, für die ich dem guten Herrgott speziell dankbar bin: dass ich bin kein Fan des TSV 1860 München geworden bin. Denn wenn es so wäre, müsste ich mich jeden Tag nach dem Aufwachen erst einmal eine Stunde oder anderthalb nur ÄRGERN. ÄRGERN. Und nochmal ÄRGERN. Nachmittags dann wieder, und abends sowieso. Wenn sich das Wochenende nähert, würde es noch schlimmer werden, und an Heimspieltagen (besser: „Heimspiel“-Tagen) wäre es dann gar nicht mehr auszuhalten.

Jedes Mal, wenn ich bei den Amateuren von 60 oder Bayern im Grünwalder Stadion bin, ärgere ich mich. Schüttele den Kopf und stelle mir vor, wie es wäre, wenn die Profis des TSV hier spielen würden, vor 25.000 Leuten, gegen Wolfsburg (oder Bochum oder den HSV, ganz egal). Wie laut es wäre. Wie die Emotionen hochkochen würden. Wie Giesing schon Stunden vorher brodeln würde. Wie unzählige Fahnen der Sechzger in der Tegernseer Landstrasse aus den Fenstern hängen würden. Wie sie im Kebap-Haus in der Bonifatiusstrasse über das bevorstehende Spiel diskutieren würden. Und am Kiosk am Nockherberg. Und im Eiscafé Riviera.
Ich könnte hinlatschen. Mich vorher mit Freunden auf ein Bier treffen. Wir würden uns immer im selben Stüberl verabreden. (Wir müssten uns eine Stammkneipe suchen – wie geil!). Wir müssten uns irgendwann nicht einmal mehr verabreden, weil jeder einfach wüsste, was er zu tun hätte. Spieltage wären Feiertage.
Und ich hätte vielleicht das Gefühl, dass 1860 ein Stück weit auch mein Verein ist, schließlich sind wir ja aus dem selben Viertel...

Ausgeträumt: Sechzig teilt sich seit Jahren das Olympiastadion mit dem FC Bayern, weil wirtschaftlicher Erfolg bei Sechzig absolute Priorität hat und angeblich nur auf diesem Wege zu erzielen ist. Dabei sinkt der Zuschauerschnitt von Saison zu Saison, und das, obwohl die Zuschauerzahlen in beinahe unverschämter Weise nach oben korrigiert werden – das einzig Spannende an Spielen der 60er im Olympiastadion ist der Moment, wenn der Stadionanimateur die offizielle Zuschauerzahl verkündet; da fallen die 1.800 Leute, die die Gegengerade füllen, vor Lachen immer beinahe aus ihren Schalensitzen (nur nebenbei: als im Sommer 2002 ein UI-Cup-Qualifikationsspiel im Grünwalder ausgetragen wurde, wurde die Zuschauerzahl vom Verein von 18.000 auf 13.500 heruntermanipuliert!).
Fußball ist nun mal mehr als 90 Minuten Spiel. Das wissen aber nicht alle. Auch deshalb ist und bleibt die Stimmung in der Schüssel beschissen, obwohl sich die Spaßkanone am Mikrofon nach Leibeskräften bemüht, „Dampf“ in die „Bude“ zu bringen. Seit dieser Saison hat er noch eine unterirdische Rock-Combo an seiner Seite, die es doch tatsächlich geschafft hat, das letzte noch in diesem Verein verbliebene Stück Liebenswürdigkeit – die alte hum-ta-ta-Nummer „57, 58, 59 – 60!“ – in unerträglicher Weise zu verramsch(rock)en.

Es geht dahin mit den Blauen. Wildmoser ist zufrieden, dass die Opposition größtenteils resigniert hat, sein Heinzi auch. Das Grünwalder Stadion soll zeitnah abgerissen werden, wenn es nach dem Münchner Stadtrat geht. Kostet zuviel – sagen sie zumindest. Und während woanders jeder blöde Steinhaufen unter Denkmalschutz gesetzt wird, ist das im Fall Grünwalder Stadion anscheinend nicht möglich, da politisch nicht gewollt.

So ist die absurde Situation eingetreten, dass inzwischen viele Fans (die Wildmoser natürlich allesamt als Spinner abtut) den Abstieg in die zweite Liga herbeisehnen, weil einzig ein Abstieg den Vereinsoberen klar vor Augen führen würde, was sie in den letzten Jahren für einen Schlamassel angerichtet haben. Zumindest sollte man doch meinen, dass die Wildmosers es spätestens dann kapieren, wenn sie ganz alleine im Olympiastadion sitzen, um sich ihren Verein gegen den MSV Duisburg oder den KSC anzuschauen. Oder auch nicht: „Du, Heinzi, moanst des wead bessa, wemma erst amoi in Fröttmaning spuin?“ - „Freilich, Babba!“.

Das ist natürlich völliger Schwachsinn. Die Allianz mit Bayern München wird niemals der Weg in die Glückseligkeit sein. Den TSV 1860 wird vielmehr durch den Verzicht der Vereinsführung auf Abgrenzung zu den Roten (der gleichbedeutend ist mit dem Verzicht auf [Re-]Kultivierung einer eigenen Identität) ein Schicksal ereilen, das weitaus tragischer ist als so mancher Abstieg: vollkommene Bedeutungslosigkeit. Dieser Verein interessiert schon heute kaum noch jemanden; in ein paar Jahren wird das noch schlimmer sein. Bonjour, tristesse.

Und das alles, weil ein paar Leute vergessen haben, was man nie vergessen sollte: Heimat - das ist da, wo das Herz schlägt.

 

Weiterlesen: www.sechzger.de und Gutes tun: Den Link Bürgerbegehren anklicken, Formular ausdrucken und Unterschriften für den Erhalt des Grünwalder Stadions sammeln. Jetzt!

>>>mehr Bilder
zurück