autor: alteheide 22.01.04

Meggle

Beim Hallenturnier in Schwerin habe ich ihn wieder einmal gesehen. Nicht persönlich, sondern im DSF.

Wenigstens in der Halle darf er spielen, habe ich mir gedacht. Obwohl er schon einmal große Probleme mit dem Knie hatte, und von seiner Art her sicher kein Hallenspieler ist. Vielleicht musste er auch ran. Oder wollte er, weil es ihm Spaß macht? Oder um sich zu empfehlen? Er kommt ja kaum mal dran in der Bundesliga.

Hat er zwischendurch nicht auch in der Oberligamannschaft gespielt? War er nur verletzt gewesen und unternahm bei den Amateuren die ersten Gehversuche? Oder wurde er aussortiert und sollte sich nur fit halten? War er nicht vor der Saison beim MSV Duisburg im Gespräch, als Leihgabe? Thomas Meggle, eine LEIHGABE?!!!

Was ist passiert, dass Veh ihn nicht mehr berücksichtigte? Veh, der gute Mann aus Augsburg, unter dem Meggle schon in der Jugend gespielt hatte. Veh, ein (der?) Hauptgrund für Meggle, ausgerechnet nach Rostock zu wechseln. Weil er auf ihn baute. Hatte er ihm zumindest versichert. Anderthalb Jahre später war Veh dann weg. Es gab dem Vernehmen nach „Rebellen“ im Team, die dies begrüßten. Unter anderem Meggle. Seltsam.

Wird Schlünz Meggle eine faire Chance geben? Er hat ja seitdem, glaube ich, auch schon gespielt, einmal sogar von Anfang an, aber zuletzt wieder nicht mehr, oder täusche ich mich? Was ist nur los?

Der Arme, sagte ein Teil von mir. Hat er nicht bewiesen, dass er Bundesliga spielen kann? Er hat in der Saison 01/02 zehn Tore erzielt und war damit nach Ballack der torgefährlichste Mittelfeldspieler der Liga, und das in einer Mannschaft, die letztlich zwölf Punkte Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz hatte. Ich meine, dass er damals nicht gehalten werden konnte.

Wäre schön gewesen, wenn er in Gladbach gelandet wäre. War zumindest mal im Gespräch. Genau wie - noch besser: Chievo Verona. Von St. Pauli zu Chievo, von Stadtteilverein zu Stadtteilverein, ein Traum! Ich wäre hingefahren und hätte ihm ein Transparent gemalt. Jedes Mal ein neues. - Und selbst wenn er zu 1860 gegangen wäre, wäre das nicht ganz so schlimm gewesen. Ich hätte dann wenigstens die Möglichkeit gehabt, jeden Montag um 18 Uhr eine Mahnwache vor seinem Wohnhaus abzuhalten.

Aber nein, er musste nach Rostock wechseln. Ich kann nicht glauben, dass es keine andere Möglichkeit gab, 1. Liga zu spielen, und daher werde ich ihm das nie verzeihen. Ich mag Rostock einfach nicht. Das ist sehr subjektiv, und wenn ich genau überlege, fällt mir wenig hieb- und stichfestes ein, was genau ich an diesem Verein auszusetzen habe. Faschisten unter den Fans gibt es überall, mal mehr, mal weniger hoch konzentriert. Und Stress gab es für St. Pauli-Fans auch schon woanders. Aber irgendwie finde ich Rostock halt besonders scheiße. Genau wie Hertha, Braunschweig, Lübeck oder Hannover. Der einzige große Verein im Norden, zu dem man überhaupt wechseln kann, ist Werder Bremen. Punkt.

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Vielleicht hätte er wissen müssen, dass er nur ein überdurchschnittlicher, aber kein großartiger Spieler ist, der in einer schwachen Erstliga- bzw. einer guten Zweitligamannschaft glänzen kann, und auch nur deswegen, weil er vom Trainer alle Freiheiten bekommt, die sein Spiel braucht.

Auf St. Pauli war er Gold wert.

Ich habe sie geliebt, seine Art, Fußball zu spielen: risikobetont und listig. Er beherrschte den Pass, der überraschen und einem Angriff eine völlig neue Wendung geben kann. (Ich meine damit nicht seine vielen Fehlpässe; denn die waren hierbei einfach ein natürliches Abfallprodukt.) Und zu welchen technischen Feinheiten er in der Lage war, manchmal. Kann sich noch jemand an sein Tor gegen Bayern München erinnern, als er den Ball mit links mitgenommen, sich dabei gedreht und die Kugel dann mit rechts ins Tor geschoben hat?

Und seine Bissigkeit! Über jede Gelbe Karte, die er bekommen hat, habe ich mich gefreut, weil ich meinen Mitmenschen damit schwarz auf weiß belegen konnte, was ich schon immer gesagt hatte: dass dieser Typ Feuer im Arsch hat. Und da er sehr oft Gelb sah, quasi in jedem 2_. Spiel, fühlte ich mich bestätigt. Und freute mich.

Seine Ausstrahlung auf dem Platz, seine Hemdsärmeligkeit – bisweilen auch seine Tapsigkeit -, sein diabolisches Grinsen (es gibt da eine köstliche Szene in den ersten paar Minuten des Aufstiegsvideos) und sein Jähzorn, seine allesamt schlecht geschossenen Elfmeter, sein Mannschaftsgeist und sein Umgang mit den Fans: all das mochte ich unwahrscheinlich gerne (bis auf die Elfmeter), denn es machte ihn zu einem Menschen – zu einem sehr coolen Menschen, wie ich fand.

Und er hätte für alle Zeiten zum Helden werden können, wäre er beim FC St. Pauli geblieben. Einer, der sich den Regeln des Profigeschäftes widersetzt, weil er etwas gefunden hat, was wichtiger ist als Geld: Liebe und Leidenschaft. Meggle, der Anachronismus in einer unsentimentalen Welt. Ich weiß selbst, dass das hoffnungslos romantisch ist, aber wir hoffen doch alle auch noch irgendwie, dass sich in unserer Gesellschaft noch irgendetwas zum Guten wendet, obwohl wir eigentlich wissen, dass dies nicht der Fall sein wird.

Es tut zu sehr weh, Meggle in einem anderen Trikot spielen zu sehen. Und deswegen ficht der Teil von mir, der ihn bedauert, einen aussichtslosen Kampf. Mir schossen beim Anblick Meggles im DSF eine Menge Dinge durch den Kopf, und nur die allerwenigsten davon waren positiver Art: Ich rede mir einfach ein, er ist ein Vollidiot, das macht es leichter.

Da gäbe es natürlich etwas, was meine Meggle-induzierten Leiden schlagartig wegzaubern könnte – aber daran darf ich erst gar nicht denken...

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Quelle Bild: kommt noch