autor: libero 11.02.03

Pokalfieber

Was assoziierte ich nicht alles mit dem Begriff, als ich mich, im unschuldigen Alter von sieben Jahren, frisch mit dem Fußballvirus infiziert hatte. Vielleicht stellte ich mir einen Pokal vor, der fiebrig glühend im Bett liegt und auf Krankenbesuch zweier Fußballmannschaften wartet. Hoffentlich bald, den genauen Zeitpunkt weiß ich nämlich nicht mehr, merkte ich, dass dieses Komposita aus Pokal und Fieber doch irgendwas mit dem Fußballspiel zu tun haben musste.

Das Grundwort Fieber deutet auf eine leicht erhöhte Körpertemperatur bei einem Lebewesen hin. Fußball wird von zwei Mannschaften gespielt, die jeweils von einem Trainer betreut und von Zuschauern unterstützt werden. Mit Pokalfieber kann man also, alles in allem, ein Fußballspiel verbinden, das hitzig, sowohl aufm Platz als auch daneben, geführt wird, die Gemüter der Beteiligten in Wallung bringt, dadurch für einige rotgesichtige Akteure sorgt, und dem von allen ein hoher Stellenwert entgegengebracht wird. Es ist, vereinfacht gesagt, also verdammt wichtig, dass die eigene Mannschaft dieses Spiel für sich entscheidet, denn sollte sie das nicht tun, fliegt sie raus aus dem Pokal.

Obwohl den Zuschauern in so einem Spiel eine sehr wichtige Rolle zu Teil wird, gibt es keine genau festgelegte Anzahl von Zuschauern die nötig ist, um ein Spiel in diese Kategorie zu heben. Es gibt Tage, da reichen ca. hundert Zuschauer und das Spiel kann mit Fug und Recht als hitzig, emotional geladen, bedeutungsvoll und letztendlich auch als interessant bezeichnet werden. Die Qualität der einzelnen Spieler ist nicht der wichtigste Faktor bei einem Fußballspiel. Fragen Sie doch mal einen Spieler des FC Egglkofen, oder einen der drei "Allesfahrer", welche Bedeutung für ihn ein Spiel gegen den TSV Baierbach besitzt. So viel vorweg: die Antwort wird empfindliche, und an politisch korrekte Töne gewöhnte, Ohren evtl. leicht irritieren.
Aber auch ein ausverkauftes Stadion oder eine, bis auf den letzten Platz gefüllte, Arena garantiert nicht für ein interessantes Spiel im Sinne der obigen Definition. Denken Sie doch einfach mal an die Arena "AufSchalke" und sie werden verstehen was ich meine. In manchen Kinovorstellungen, oft reicht der Auftritt von Cameron Diaz oder Halle Berry für spontanen Applaus seitens der männlichen Besucher, ist die Stimmung aufgewühlter als dort. Okay, okay. In der Arena kann man sich "den Film" auch auf dem Weg zur Toilette, auf einem der zahlreichen Fernsehbildschirme, ansehen. Da müssen die Kinos noch nachrüsten, ich gebe es ja zu!

Die Glücksfee meinte es gut mit den Münchener Fußballvereinen. Schließlich wurden neben dem Vorstadtclub Unterhaching auch die beiden Bundesligisten der Stadt jeweils mit einem Heimspiel im Viertelfinale des DFB-Pokals beschert.

In vielen Städten mit einem einzigen Erst- oder Zweitligisten würde ein einziges Viertelfinale zumindest für ein erhöhtes Verkehrsaufkommen sorgen. In einigen dieser Städte würde man in der Innenstadt vielleicht so etwas wie Pokalatmosphäre verspüren können (Anm. d. Verf.: In München von solchen Zuständen nur zu träumen spricht eindeutig gegen den Geisteszustand des Verfassers!)

Wenn es schon so schwierig ist zu beschreiben, wie die Rahmenbedingungen für Pokalfieber beschaffen sein müssen, versuche ich ihnen jetzt dazulegen, wie sie nicht sein sollen. In der Landeshauptstadt München fanden sich zu den beiden Pokalspielen insgesamt ca. 17000 Zuschauer ein. Ob das jetzt am überragenden Amüsierviertel dieser Stadt liegt oder eher am übersättigten (Bayern) bzw. vereins- und präsidentüberdrüssigen (1860) Publikum, lasse ich einfach mal dahingestellt. Trifft wohl beides zu, mag man sich denken, ohne näher auf das Amüsement der Stadt eingehen zu wollen.

Da ist der FC Bayern jahrelang in der Champions League fast bis zum Schluss mit dabei und nun spielen sie im Viertelfinale gegen den souveränen Tabellenführer der zweiten Liga, den 1.FC Köln. Für den Durchschnittsfan ist dieses Angebot wohl nicht attraktiv genug. Wie sonst ist es zu erklären, dass sich nur 13000 Zuschauer im Olympiastadion einfanden und von denen auch noch ca. 4000 Zuschauer, nein, keine Null zuviel, aus der Rheinmetropole Köln anreisten. Das kann man auch als Indiz ansehen, welch ein Fanpotential wirklich hinter dem "beliebtesten" deutschen Fußballverein steht. Rechnet man großzügig noch die Leute dazu, die arbeiten mussten oder zu weit weg vom Stadion wohnen, kommt man auf eine ähnliche Zahl wie sie wohl jeder andere Verein der ersten Liga, und mancher der zweiten Liga, auch vorweisen kann. Der Rest, der gerne zu den mehr oder weniger glamourösen Mittwochsspielen der Geldscheffelliga kommt, sieht im Fußball eben nur eine weitere Möglichkeit, unterhalten zu werden.

Diese Leute, oder wie man auch so schön sagt, diese Zielgruppe, die sich nicht an 300 Dezibel Dauerbeschallung vor dem Spiel, in der Halbzeitpause, vor Ecken und nach Toren stört, bereitwillig das dämliche "Danke-Bitte"-Spiel mitmacht und Applaus-Schilder wie in den Fernsehshows sogar noch als kreative und innovative Neuerung feiern würde, wird vom FC Bayern und von den meisten Vereinen am stärksten umgarnt. Das sind die gleichen Leute, die den Fasching mögen, ihre Kompensation für die verpassten Möglichkeiten eines ganzen Jahres in einer Woche auf Ibiza suchen und sich die Superstarsendungen ansehen. Aber das ist eben der Trend in unserer Gesellschaft. Weg vom eigenen Denken, ja keine Meinung haben, die anecken könnte, immer schön mit dem Strom in der grauen Masse mitschwimmen. Die Trivialisierung und Boulevardisierung der Gesellschaft und des Lebens eben!

Was damit einhergeht ist, dass der Fan immer mehr zum Kasperle in einem Theater werden soll. Dieses wird von der Masse aber nicht mal bemerkt. Man winkt doch schließlich gerne in die Kamera für die überdimensionierte Videoleinwand in den großen Stadien. Im Sommer wird noch ausgiebig über die koreanischen und japanischen Fußballfans gelacht, die Jubelfraktion davon ist gemeint, und kaum ein halbes Jahr später merkt man nicht, wie man sich selbst eine überdimensional zu groß geratene Eselskappe aufsetzt, indem der auf die Leinwand projiezierte Text der Vereinshymne mitgesungen wird. So verkommt der Fangesang zur Karaoke-Show und der Fußball selbst zur interaktiven Mitmach-"Du-kannst-sogar-was-gewinnen"-Show in allerschlimmster RTL-Manier!

Nennt mich einen Nostalgiker, einen Nörgler, Besserwisser oder was auch immer. Es ist mir egal! Da sehe ich mir hundert mal lieber ein A-Klasse-Spiel an als noch einmal zu einem Fixkostendegressionsspiel des FC Bayern zu gehen, dass dieser dann auch noch souverän 8:0 gewinnt.

Für die Nummer zwei in dieser Stadt der Schönen und Reichen, der TSV 1860 München, ist es natürlich nicht leicht sich publikumswirksam zu präsentieren. Vielleicht sollte man sich einfach mal überlegen, ob es nicht angepasst wäre, die Unternehmensstrategie zu überdenken und sich einzugestehen, dass man sich übernommen hat. Man kann eben nicht als FC Bayern light hier auftreten und glauben, ein Umzug in ein größeres Stadion bedeutet mehr Zuschauer, mehr Gewinn, mehr Weltstars und mehr Titel. Nach acht Jahren Mittelmaß, und zu mehr wird es für die Löwen nie reichen, sollte man doch erkennen können, dass es so nicht funktioniert. Die Löwen werden eine kleine graue Maus im Schatten der Bayern bleiben. Da helfen auch keine chinesischen Schnellschüsse. Es ist einfach kein Profil des ehemaligen Traditionsvereins mehr zu erkennen! Das Spiel verloren sie jämmerlich in der Verlängerung mit 1:4 gegen Werder Bremen. Spieler des Spiels war der eingewechselte Ex-St. Paulianer Ivan Klasnic mit zwei Toren und einem insgesamt einfach überragenden Auftritt. Hamburger Schule eben!

Selbst als Kind, und wir alle wissen, wie leicht diese Geschöpfe zu begeistern sind, wäre ich wohl bitter enttäuscht von diesen beiden Spielen gewesen und hätte den Pokal des Simulierens beschuldigt.

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