autor: casigordo 11.05.03

FC St. Pauli


Das Spiel in Karlsruhe wurde mit zehnminütiger Verspätung angepfiffen. Komisch, mir sind keine Zuschauermassen aufgefallen, die nach und nach ins Stadion pilgerten, um diese Verzögerung unseres Schicksals zu rechtfertigen.

Schicksal?

1989 war ich das erste Mal live dabei, als der FC St. Pauli in der Bundesliga spielte. Der Gegner damals: HSV. Bis dahin war ich gelegentlich, aber ausschließlich, bei Spielen des HSV zu Besuch. So stand ich also da in der Westkurve und wurde Zeuge eines Spiels, in dem der damalige Aufsteiger, und klare Underdog vom Millerntor, aufopferungsvoll und mit viel Herz sich dem, damals noch großen, HSV stellte.
Zwar verloren die Mannen von Trainer Helmut Schulte das Spiel mit 2:1 aber der zwischenzeitliche Ausgleich von Sonny Wenzel, die jubelnden Fans in der Ostkurve und deren schon damals kreativen und witzigen Fangesänge hinterließen einen nachhaltigen Eindruck auf mich.

In der Saison 89/90, in meiner fußballerischen Orientierung bereits ein sehr großer Sympathisant des FC St. Pauli, gab ich mein Debüt am Millerntor, die Kiezkicker spielten gegen Bayer Leverkusen und das Spiel endete 3:0. Es war das letzte Heimspiel der Saison und der Klassenerhalt war schon lange vorher gesichert. Kurz vor Ende des Spiels bat der Stadionsprecher die Fans, nach Abpfiff doch bitte nicht auf das Spielfeld zu stürmen. Wie selbstverständlich strömten alle nach Abpfiff auf das Spielfeld und so geschah es, das ich bei meinem ersten Besuch am Millerntor das Stadion von den Rängen (genauer gesagt von der Gegengeraden) und vom Platz aus einsehen konnte. Ich war glücklich, ich wurde Fan.
Bayer war in den Folgejahren immer ein gerngesehener Gast auf St. Pauli, ließen Sie doch regelmäßig die Punkte in Hamburg.

Ich war endgültig umgeschwenkt, fortan war meine Priorität im Fußball der FC St. Pauli und ich sollte ein recht aktiver Fan werden, was Stadionbesuche in Hamburg und in der Ferne anging.

Die erste Schicksalssaison war dann die Saison 90/91. St. Pauli war super in die Saison gestartet, gewann 2:1 in Berlin bei Hertha und rang dem Abo-Meister FC Bayern zu Hause ein 0:0 ab. Die Krönung dann beim Rückspiel, St. Pauli gewann 1:0 beim FC Bayern. Ich spielte damals selbst noch Fußball, als unser Torwart nach dem Spiel in die Kabine stürzte und die frohe Botschaft verkündete.
Gegen Ende der Saison wurde es dann aber immer schwerer. St. Pauli konnte seine Heimspiele nicht mehr gewinnen und wurde in der Fremde regelmäßig abgeschossen. Am letzten Spieltag in Dortmund, ich bin kurzentschlossen mit dem Auto hingefahren, waren es dann bereits 3 Punkte auf den rettenden 15. Platz. So schmerzte die 5:2 Klatsche dann auch nicht mehr wirklich, hatte die Konkurrenz doch auch gepunktet. Platz 16 nach 34 Spielen.
Der Ausweg aus dem Dilemma hieß Relegation. St. Pauli hatte die große Chance in zwei Spielen nach den Regeln des Europapokals gegen den Tabellendritten aus der 2. Liga die Klasse doch noch zu halten. Der Gegner hieß damals Stuttgarter Kickers.
Die erste Begegnung war am Millerntor. St. Pauli ging mit 1:0 in Führung, alles lief gut. Doch die Kickers waren stark damals und Ihnen gelang es, am Millerntor den Ausgleich zu erzielen und das Ergebnis über die Zeit zu retten. Ich kaufte gleich nach dem Spiel ein Ticket für das Rückspiel in Stuttgart.
Es lief schlecht, die Kickers führten 1:0 und hatten eigentlich alles in Griff. Den Abstieg vor Augen ging ich auf die Toilette im Neckarstadion. Mir war kalt und ich war besoffen (acht Stunden Hinfahrt mit einem Sonderzug voller St. Pauli Fans). Lauter Torjubel lies mich die Scheißhaussituation überleben, ich rannte zurück in den Block, und tatsächlich, es stand 1:1, Torschütze, Andre Golke. Glück gehabt, denn es passierte nichts mehr.

Das entscheidende dritte Spiel sollte dann auf Schalke im altehrwürdigen Parkstadion stattfinden. Wieder Sonderzug, wieder besoffen, doch diesmal ohne Glück. Das Spiel endete 3:1 für die Kickers, überragender Spieler auf dem Platz: Markus Marin.
St. Pauli musste zurück in Liga zwei.
Ich weiß nicht mehr, was ich damals fühlte. Ich fand das einfach ungerecht, das wir mit dieser Truppe, mit diesen Fans abgestiegen waren und so ein langweiliger und doofer Verein wie die Kickers mit fast gar keinen angereisten Fans (St. Pauli-Fans haben, glaube ich, drei Sonderzüge gefüllt) künftig im Oberhaus mitkicken durfte.

Ich war fortan Fan eines Zweitligisten, zum ersten mal in meinem Leben.

Die Saison 91/92 tat meinem Dasein als aktiver Fußballfan keinen Abbruch. Ich besuchte in der ersten Zweitligasaison fast alle Heimspiele und war auch bei Auswärtsfahrten oft dabei.
St. Pauli spielte zu Hause eine gute Saison, aber auswärts gab es nichts zu erben, und mit nichts meine ich auch nichts (ich glaube, zum Ende der Saison wurde es etwas besser). Ich war irgendwann soweit, das ich auswärts nicht mehr dabei sein wollte. Ich empfand diese Erfolglosigkeit in der Fremde sehr frustrierend. Dennoch gab es Fahrten, wo es geboten war mitzureisen. So z.B. Ende April, der HSV spielte in Duisburg und der FC in Meppen. Diese beiden Spiele ließen sich prima miteinander verbinden. Flugs wurde für die Reise im Fanbus eingecheckt, denn schließlich gab es eine Fanfreundschaft mit den Duisburgern (ich weiß bis heute nicht warum), die wir gegen den verachtungswürdigen Stadtrivalen St. Ellingen unterstützen wollten. Ich dachte damals wirklich noch so. Außerdem, so die Tagesordnung, sollte ein Fußballspiel zwischen St. Pauli-Fans und Duisburg-Fans stattfinden mit anschließender Party.
Es war ein Fiasko. In dem doofen Spiel riss ich mir den Meniskus ein, und es stellte sich heraus, das die Party am anderen Ende der Stadt war, wohin wir selbstverständlich zu Fuß latschen mussten. Vor Begeisterung kaum zu stoppen schleppte ich mich also mit Hinkebein und ziemlich besoffen mit allen anderen zu dieser Party. Ich war ziemlich am Ende und schlief dann irgendwann neben der Musikbox auf der Bühne ein. Ich hatte Kopfschmerzen.
Wir verließen Duisburg am nächsten Tag, nicht jedoch ohne das ich vorher noch einen Fanfreundschaftsschal kaufte. „MSV Duisburg – FC St. Pauli Geschmack verbindet“. Scheiß Schal, scheiß Fahrt, scheiß MSV.
An den Aufenthalt in Meppen erinnere ich mich nicht mehr wirklich.
St. Pauli landete am Ende der Saison auf Platz 4, weil Sie auswärts einfach zu dämlich waren.

In der Saison 92/93 hätte die Odyssee beinahe mit dem Abstieg in die 3.Liga, damals Oberliga geendet. Mit einem Siegtor gegen Hannover durch Leo Manzi am letzten Spieltag konnte St. Pauli die Klasse gerade noch halten.

Eine ähnliche Situation hatten wir in der Saison 99/2000, als jener Markus Marin, der uns Jahre zuvor noch im Dress der Stuttgarter Kickers in die 2. Liga schoss, in letzter Minute den Ausgleichstreffer für den FC St. Pauli gegen RW Oberhausen erzielte. Das reichte letztendlich um die Klasse zu halten.
Der absolute Höhepunkt meiner Karriere als aktiver St.Pauli Fan war zweifellos die Saison 2000/2001 mit dem Aufstieg in Liga 1. Der FC ist mit dem wohl kleinsten 2. Liga Etat aller Zeiten in die Saison gestartet und wurde von so ziemlich allen Fachzeitschriften und Expertenmeinungen als sicherer Absteiger gehandelt. Trotz aller Wasserstandsmeldungen lieferte der FC dann aber eine überraschend gute Hinrunde ab die mit einem Sieg gegen den Club zu Hause auf einem Aufstiegsplatz endete. Ich hatte das große Glück, beruflich in Hamburg gewesen zu sein, als St.Pauli mit zwei Heimspielen (und zwei Heimsiegen) in Folge gegen Nürnberg und Ahlen (war schon das erste Spiel der Rückrunde) in die Winterpause ging. Beide Spiele haben mich von der Spielstärke nicht überzeugt, denn zumindest gegen Ahlen hätten wir das Ding auch verlieren können, das Spiel endete 3:2 für St.Pauli. An einen möglichen Aufstieg am Ende der Saison glaubte ich nicht, allerdings ging ich in die Winterpause mit dem erleichternden Gefühl, diese Saison ganz sicher nicht abzusteigen.
In die Rückrunde startete St.Pauli gut und es hatte den Anschein, der Aufstieg sei doch möglich. Im letzten drittel der Saison schwächelte der FC dann aber, es gab eine Niederlage zu Hause gegen Gladbach mit 0:2 und eine Klatsche in Fürth mit 5:1. Spätestens da dachte ich, das mit dem Aufstieg hat sich erledigt, zumal das Spiel in Fürth ein spielerischer Offenbarungseid war, die reinste Katastrophe.
Die Endphase der Saison war dann an Spannung nicht mehr zu toppen. St.Pauli holte noch wichtige Punkte und hätte zu Hause gegen Hannover den Aufstieg perfekt machen müssen.
Aber St.Pauli wäre nicht St.Pauli, wenn der Aufstieg bereits am vorletzten Spieltag klar gewesen wäre und so endete das Spiel 2:2, nachdem wir schon 0:2 hinten lagen.
Die Situation war klar, nur ein Sieg gegen den längst aufgestiegenen und als Meister feststehenden Club kann St.Pauli in die Budesliga beamen.
Ich erlebte das Spiel zwar konzentriert und angespannt, aber mit dem nötigen Alkoholpegel im Blut, um auch abschalten zu können. Nach dem 1:2 durch Baris waren noch ca. 10 Minuten zu spielen, ich glaube, ich habe noch niemals längere 10 Minuten erlebt. Glücklicherweise hatte der Schiri Verständnis und pfiff dann überpünktlich ab.
Ich kann mich unmittelbar nach dem Abpfiff nur noch an Stille erinnern, obwohl ein Orkan an Jubelgesängen tobte, aber für kurze Zeit war ich allein und es war Stille. Mir wurde bewusst, dass der FC St.Pauli aufgestiegen ist, nach so langer Zeit, endlich wieder in Liga 1. Ich weinte.
Dann brachen alle Dämme, freudentrunkene Clubfans kamen zu uns rübergerannt und wir feierten noch lange nach Abpfiff mit den Cluberern im Stadion und lieferten uns regelrechte Gesangsschlachten. Wer war lauter? Wer war besoffener? Wer war ausgelassener? Egal, endlich wieder Bundesliga.

Ich wurde in all den Jahren als St.Pauli Fan Zeuge von vielen denkwürdigen Spielen und nervlichen Extremsituationen, für die ich dem FC St. Pauli von Herzen danke, auch wenn die Wut auf diesen Club manchmal ins unermessliche stieg. Letztendlich haben Sie es immer wieder geschafft. Sie sind immer wieder aufgestanden, die Kicker vom Kiez.

Diese Saison 02/03 allerdings stellt alles, was zuvor war in den Schatten, leider im negativen Sinne. Nie zuvor habe ich eine Saison erlebt, in der so mit meinen Gefühlen Achterbahn gefahren wurde und in der das Schicksal so gnadenlos gegen uns war.
Schlechter Start in die erste Zweitligasaison, Trainer Demuth entlassen, ein Kader, der offensichtlich zu schwach für Liga zwei ist, regelmäßige Klatschen sogar in den Heimspielen, verletzte und formschwache Spieler, ein komplett zerstrittener Vereinsvorstand, 9 Punkte nach der kompletten Vorrunde, Hoffnungslosigkeit, neue Spieler zur Rückrunde, gute Spiele, wieder Hoffnung, viel Pech durch unglückliche und überflüssige Gegentore, eine komplette Saison auf einem Abstiegsplatz, viel Kampf und wenig Glück und wie aus heiterem Himmel auch noch 2 Millionen Euro Schulden. Liquiditätsprobleme nennen die das, glaube ich.
Das Team hat sich soviel vorgenommen zur Rückrunde und es waren tatsächlich hoffnungsvolle Ansätze dabei. Letztendlich glaube ich aber, dass durch die vielen unnötigen und unglücklichen Niederlagen oder Ausgleichstreffer und die ständigen internen Querelen die Moral der Truppe und den unbedingten Willen, das Unmögliche zu schaffen, gebrochen haben. Zuviel ist geschehen im Laufe der Saison.

So trat das Unvermeidliche dann eben mit zehnminütiger Verspätung, ca. 16:55, als die Begegnung Karlsruher SC – FC St. Pauli abgepfiffen wurde, ein. Dieser Abpfiff war anders als alle, die ich je zuvor miterleben durfte. Hier ging nicht einfach ein Fußballspiel zu Ende, nein, hier wurde heute ein Verein beerdigt. Mein Verein, der FC St. Pauli.
Nun sind wir also Vorletzter, zwei Spieltage vor Schluss, 6 Punkte Rückstand auf den rettenden 14. Tabellenplatz und kein Leo Manzi oder Markus Marin wäre in der Lage, dieses Schicksal noch zu verhindern. Der FC St. Pauli steigt ab in die Regionalliga, das undenkbare ist eingetreten.

Ich bin das erste mal in meinem Leben Fan eines Regionalligisten. Ich bin traurig, dass wir abgestiegen sind.
Selbstverständlich werde ich auch weiterhin dabeibleiben, denn ich werde immer Fan des FC sein. Es wäre nur schön, wenn es nicht wieder vier Jahre dauert (oder gar noch mehr), bis St. Pauli wieder aufsteigt.

Wir kommen wieder,
walk on

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