autor: libero 18.04.03

Ich habe keine Wahl...

Mittwoch Abend, kurz vor neun. Ich hetze durch die Stadt um eine, zugegeben recht kurze Strecke, mit der U-Bahn zurückzulegen, die man problemlos mit dem Rad oder sogar mittels eines Spazierganges absolvieren könnte ohne Blasen an den Füßen zu bekommen. Aber nein, ein gehetzter Mensch, und das bin ich an diesem Abend, entscheidet sich für ein hektisches Verkehrsmittel. Am Bahnsteig ist von einer U-Bahn, ausgenommen jene die in die andere Richtung fahren, nichts zu sehen. Nicht mal eine Ankündigung! Hektische Ruhe am Bahnsteig. Es scheint mal wieder so, als hätte sich die ganze Welt gegen mich verschworen und die Macher des U-Bahn-Fahrplanes haben sich genau die fünf Minuten für die zuglose Zeit ausgesucht, in denen ich einmal, wirklich nur einmal, auf eine sofortige Zuganbindung angewiesen bin. Die fünf Minuten kommen mir wie die Nachspielzeit bei einer knappen Führung auswärts vor.

Als ob das nicht reichen würde, stellt sich zielsicher ein studierendes konservatives Etwas mit seiner FAZ-Zeitung, einem fiesen Scheitel und einem Gesicht, das ich jederzeit als Boxsack verwenden würde, neben mich und beginnt einen asiatischen Kommilitonen wegen seiner Doktorarbeit anzuschleimen. Die grüne, klebrige Schleimspur sucht sich ihren Weg über den Bahnsteig und überzieht alle Personen, Sitze und Süßigkeitsautomaten. Ich wünsche mir die Ghostbusters herbei, die diesen Schleimer in ihren Staubsaugern auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Zum Glück kommt die U-Bahn des bemitleidenswerten Asiaten, der die Gelegenheit sofort beim Schopfe packt und sichtlich erleichtert in die U-Bahn entschwindet. Der Schleimer muss sein Maul halten und circa 80 Menschen werden vom grausamen Ertrinken verschont. In der nächsten Minute kommt dann auch die sehnlichst herbei gewünschte U-Bahn in Richtung Münchener Freiheit.

Ich positioniere mich geschickt an der Tür um in der Giselastrasse, bereits vor dem endgültigen Anhalten des Zuges, selbige zu öffnen und auf den Bahnsteig springen zu können. Leider kommt zeitgleich eine in die Gegenrichtung fahrende U-Bahn an, so dass sich die Rolltreppe von ihrer verstopften Seite zeigt. Ich ertappe mich dabei, wie ich auf die linke Seite der Rolltreppe springe und drei, vielleicht sechzehnjährige, Mädchen mit einer sehr ungestümen oder rustikalen Spielweise auf die rechte Seite dränge bzw. schubse. Weiß doch jeder: links gehen, rechts stehen. Und wer es nicht weiß, muss es eben lernen. Meine kleine Welt!

Das ist genau der Augenblick, in dem ich mich selbst hinterfrage und mir denke, was ich denn hier eigentlich mache und ob es das Verhalten ist, welches ich allgemein an den Tag lege und für wünschenswert halte. Die Antwort ist ein ziemlich klares Nein mit Ausrufezeichen. Aber ich habe ja eine Entschuldigung, denn ich befinde mich auf dem Weg ins Murphys, um mir die "Gunners" gegen die "Red Devils" anzusehen und das, so rede ich mir zumindest ein, rechtfertigt dieses Verhalten. Für Leute, die dem Fußball etwas distanzierter gegenüber stehen, ist das natürlich nur eine billige Ausrede und bei näherer Betrachtung leuchtet diese Argumentation sogar mir ein. Jaja, Sachen gibt's...

Genau wie das Spiel selbst erfüllt auch das Murphys und die darin gestapelten Engländer und sonstigen Fußballverrückten meine hohen Erwartungen und ich verbringe einen sehr schönen Abend mit einem hochklassigen Fußballspiel. Der einzige Wermutstropfen ist eine Gruppe Erstsemester, höchstwahrscheinlich BWL, die ihr Bestes geben, um meine Vorurteile zu bestätigen und dieses Ziel spätestens mit dem Satz "...das dauert ja noch 20 Minuten..." erreichen. Die Frauen der Gruppe verlassen den Pub und die Herren, zwei echt schnieke junge Männer, stellen sich neben mich. Die Ohren auf Durchzug gestellt, ich lass mir doch von diesen Spacken den Abend nicht versauen, und wieder auf die Schlussphase eines attraktiven Spiels konzentriert. Endstand 2:2. Hört sich zwar unspektakulär an, aber wer es nicht gesehen hat, kann es ja wohl schlecht beurteilen, oder?

Die Eine oder der Andere wird sich vielleicht fragen, worauf ich denn nun überhaupt hinaus will. Eine berechtigte Frage. Es ist so, dass mich der Gedanke, ob es dieses Leben ist, was ich will, nicht mehr losgelassen hat und mich vor dem Einschlafen, sozusagen als menschliches Perpetuum mobile noch einige Zeit beschäftigt. Nach mühevollem Abwägen komme ich zu dem Schluss, dass ich es will. Was würde ich denn sonst mit der Zeit anfangen? Freundin? Firlefanz, das was ich will, kriege ich nicht und was ich krieg, gefällt mir nicht. Kino? Interessiert mich nicht. Für was hat man denn DSL und zum Cineasten mutiere ich bestimmt nicht in diesem Leben. Theater? Gut, würde mich evtl. interessieren, aber als zukünftiger Lehrer muss ich noch mit so vielen Schulklassen ins Theater gehen. Das kann also warten.

Wie man leicht erkennen kann, gibt es keine würdige Alternative und so lange ich bei einer BILD-Schlagzeile "SIEG!", Anlass war der völkerrechtswidrige Krieg gegen Irak und dessen damit suggerierte Beendigung, noch immer das Heil hinzu antizipiere und mich kopfschüttelnd frage, wieso kein Aufschrei durch die gesamte Bevölkerung ob dieses Titels geht, kann ich mit mir selber ganz gut leben.

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